Obwohl ich schon etliche Male in Nagaland war, habe ich noch nie das Dorf meiner Schwiegereltern gesehen. Diesmal planen wir einen Roadtrip nach Changki, dem Dorf meines Schwiegerpapas, und Mangmetong, wo meine Schwiegermama aufgewachsen ist. Übernachten werden wir im Dschungel neben dem Reisfeld meines Schwiegervaters in einem Zelt. Die Reise im klapprigen Maruthi-Bus dauert wegen den bereits früher erwähnten Strassenverhältnissen und dem Verkehr rund 9 Stunden, da wir öfters Pausen einlegen und die Landschaft bewundern. Die Gegend wird zunehmend grüner und ist dichter und artenreicher bewaldet, je näher wir dem Ziel kommen.
Eigentlich wollten wir schon den Tag zuvor losfahren, aber am Abend zuvor blieb der Bus liegen – mitten in einer unbewohnten Gegend und im Stockfinstern. Zum Glück funktionierte mein Handy, und da es in Nagaland keinen ADAC gibt, rufen wir unsere Familie an, die dann nach einer Ewigkeit zur Hilfe kommt. Naja, es war nur eine Stunde, aber die fühlte sich wie eine Ewigkeit an in der Kälte und Einsamkeit der Nacht. Während wir dann so warten, nähert sich ein Wagen und bleibt schräg hinter uns auf der anderen Strassenseite stehen. Wir bemerken, dass es ein Polizeiauto ist und beschliessen, uns ruhig zu verhalten. Nagaland ist zwar inzwischen offen für Ausländer, aber die Polizei nimmt gerne Schmiergelder, stellt unangenehme Fragen und findet immer irgendwie eine Kleinigkeit am Auto, die nicht in Ordnung ist, und wir wissen ja noch nicht, warum der Wagen stehengeblieben ist. Die Polizei, dein Freund und Helfer – nicht in Nagaland. Wir hatten eigentlich erwartet, dass die Beamten neugierig werden und auf uns zukommen, da wir ja noch dazu mitten in der Strasse stehen. Einer der beiden Polizisten steigt aus, verschwindet aber in den Büschen. Nach einer Weile fängt der andere im Wagen wartende Polizist an zu hupen. Die Situation ist zu komisch und wir biegen uns vor Lachen. Offensichtlich musste der eine dringend für Königstiger, und der andere wurde ungeduldig, weil ihm das zu lange dauerte. Sehr vorbildlich, die Ordnungshüter, muss ich sagen, nachdem die Regierung versucht, die Bevölkerung zum Benutzen von Toiletten zu bewegen. In Bangalore habe ich sogar mal einen Polizisten beobachtet, der auf einer belebten Strasse in einer besseren Gegend am Strassenrand urinierte. Soviel zum Thema Hygienemassnahmen.
Als wir in Changki ankommen, ist es bereits dunkel. Wir befahren den schmalen Weg durchs Reisfeld, der zu unserem Zeltplatz führt, aber der Bus bleibt schon nach wenigen Metern stecken. Die Männer schlagen mit ihren Daos den Weg frei und überbrücken die Löcher im Boden mit Bambusrohren. Den Rest des Weges zum Zeltplatz tragen wir unsere Sachen, da die Vegetation zu dicht ist um mit dem Bus durchzukommen. Wir machen erstmal Feuer und bauen unser Zelt auf. Den Boden polstern wir mit Stroh und legen Matten darüber.
Am nächsten Morgen bin ich geschockt von der Schönheit der Landschaft, die ich in der Dunkelheit am Vorabend gar nicht wahrgenommen habe. Von dem Hügel, auf dem wir campieren, kann man die gesamte Talebene überblicken, ein Reisfeld nach dem anderen, ab und zu grüne Tupfer mit Bananenstauden und Kokospalmen. Die Luftfeuchtigkeit ist extrem hoch und nach der Kühle der Nacht wird es richtig heiss, sobald die Sonne aufgeht. Der Nebel zaubert verrückte Muster in die Landschaft. Die Bauern arbeiten bereits auf den Feldern mit der eingebrachten Ernte. Mit Hilfe ihrer Rinder trennen sie den Reis von den Hülsen und verpacken die getrockneten Körner in Säcke. Der Tag beginnt früh, da es abends ab 17:00 Uhr schon dunkel wird und es hier keinen Strom gibt.
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Unser Reisfeld wird von einer 13köpfigen Familie betreut, die in zwei Bambushäuschen am Rande des Reisfeldes leben. Noch genauso wie vor 150 Jahren. So einfach und ursprünglich, aber mit so viel Fröhlichkeit und Ruhe, dass ich fast neidisch werde. Nachts wird es so still, dass man nur das Knarzen der Bambusstauden und das Rascheln der Blätter hört, und ab und zu die dicken Tropfen angesammelter Luftfeuchtigkeit, die von den Bananenstauden mit einem Platschen auf dem Boden landen. Meine Ohren sind so viel Stille gar nicht gewöhnt und protestieren mit einem andauernden Pfeifton. Ich lege mich auf die Matte und schaue in einen atemberaubend schönen Sternenhimmel.
Es gibt fast keine Mücken in dieser Jahreszeit, dafür aber Blutegel, die ich ganz schauerlich finde. Wir wagen uns ein Stückchen hinein in den angrenzenden Dschungel, aber ich mache einen Rückzieher, als ich zwei dieser monsterlichen Kreaturen auf meinem Schuh sitzen sehe und ich mir in meiner Fantasie ausmale, was hier wohl noch so für Viecher rumkrabbeln und mein Blut riechen. Ich bin eben doch ein Feigling. Beim nächsten Mal werde ich etwas mutiger sein. Versprochen.
Am nächsten Tag besuchen wir das Dörfchen Mongmetong, trinken eine Tasse Tee hier und da bei Familie und Bekannten und mein Mann teilt ein paar Kindheitserinnerungen mit mir, als wir ein paar Zimtbäumchen entwurzeln. Die Wurzel ist der aromatischste Teil des Baumes. Wir geniessen den Sonnenuntergang an einer Stelle, wo man das gesamte Gebiet der Lothas (einer der Stämme in Nagaland) und einen Teil des Doyang Rivers überblicken kann. Die Intensität der Farben und die blutrot eingefärbten Hügel im Kontrast zum tiefblauen Fluss und dem blauschwarz schattierten Urwald machen diesen Sonnenuntergang mit Abstand zum aufregendsten, den ich je erlebt habe.
Am nächsten Morgen brechen wir unser Zelt früh ab, trinken eine Tasse Tee bei Freunden meines Schwiegervaters und machen uns auf nach Changki, einem Dorf, das sich über einen langestreckten Hügelkamm schlängelt. Das Dorf ist wunderschön, mit kleinen Bambushäuschen und sauberen, schlaglochfreien Strassen. Am lustigsten sind die Bambushäuser mit überdimensionalen Satellitenschüsseln. Hach wie schön – zurück in der Zivilisation!
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